Es begann vor 193 Jahren - und wurde ein Opfer der Sparsamkeit ...
Am 1. Juni 1810 feierte Zofingen das erste Kinderfest
Immer wieder kann man lesen oder hören, das erste Zofinger Kinderfest habe im Jahr 1825 stattgefunden. Das trifft zwar dann zu, wenn man die in diesem Jahr begonnene und seither fast ununterbrochen weitergeführte Reihe der jährlichen Kinderfeste im Blick hat. In Wirklichkeit fand jedoch das erste Kinder- oder Schulfest schon fünfzehn Jahre früher statt, und zwar in einer Form, in der bereits wichtige Elemente des heutigen Festes erkennbar sind.
RUDOLF WEBER
Im Herbst 1808 wurde der aus Württemberg stammende Christian Heinrich Zeller als «Schuldirektor» nach Zofingen berufen, damit er hier das Schulwesen im Sinne Pestaloz- zis neu gestalte. Zeller begann seine Arbeit im Februar 1809 und schuf in den folgenden Monaten das nicht nur von den städtischen, sondern auch von den kantonalen Schulbehörden mit höchstem Lob bedachte «Reglement für die sämtlichen öffentlichen Schulen der Stadt Zofingen». In diesem Reglement gibt es einen speziellen Abschnitt über «das jährliche Schulfest», das als Höhepunkt des Schuljahres und als pädagogischer Gedenk- und Feiertag mithelfen sollte, «die öffentliche Erziehung zum Gegenstand einer herzlichen allgemeinen Freude zu machen». Für die Gestaltung des Festes legte Zeller ausserdem einen detaillierten Plan vor.
Bereits im folgenden Jahr wurde Zellers Vorhaben verwirklicht und das erste Schulfest gefeiert. Es existiert darüber ein kurzer Bericht, verfasst von dem Zofinger Bürger Friedrich Haller (1803-1873). Haller, der Grossvater des aargauischen Dichterpfarrers Paul Haller, wirkte von 1834 an bis zu seinem Tod als Pfarrer von Veltheim; er war ein enger Freund Zellers und mit dessen Nichte verheiratet. In seinem Bericht erzählt er uns Folgendes: «Am 1. Juni 1810 wurde in Zofingen das erste Jugendfest für die Schulkinder gehalten. , wurde gesungen. Nachdem am Morgen eine Feier in der Kirche stattgefunden, zog nachmittags die Schuljugend je zwei und zwei in langem Zug, von Lehrerinnen und Lehrern geleitet, zum Tor hinaus auf den hinauf. Dieser Platz bildet ein weites Rasenviereck, von alten prächtigen Linden umgeben. Er bietet eine reizende Aussicht in die Berner Alpen über das Wiggertal hin, jedem, der hinaufsteigen mag, die Mühe trefflich lohnend. Für der Jugend munteres Spiel war reichlich Anstalt getroffen, auch folgte für sie eine frugale Bewirtung.» Wir sehen aus dem knappen Bericht: Schon dieses erste Kinderfest enthielt wichtige Elemente, die wir noch heute am Fest kennen und schätzen: die Morgenfeier in der Kirche etwa oder den nachmittäglichen Zug auf den Heiternplatz. Aber auch «der Jugend munteres Spiel» gehört zu dem uns Vertrauten: Laut dem Plan von ZelIer gab es für die Knaben ein Bogenschiessen, ein «Eierlesen» und einen Wettlauf «im westlichen Lindengang», für die Mädchen «einen einfachen kunstlosen Reigen, den sie Hand in Hand, nach dem Ton der Blasinstrumente, jedoch ohne Knaben» tanzten.
«Die Stadt vermöge das nicht»
Es besteht kein Zweifel, dass auch für das Jahr 1811 wieder ein Kinderfest geplant war. So beschloss zum Beispiel der Stadtrat im Mai 1811, «für die alljährlich auf dem Heiternplatz zu feiernden Schulfeste besondere auf Böcke zu legende Tische machen zu lassen». Ausserdem existiert das fünfzehnseitige (!) Manuskript von Zellers Festrede für 1811, in der er davon spricht, dass das Fest «heute zum zweitenmal» gefeiert werde. Es stellt sich also die Frage, warum das Schulfest von 1811 - offenbar recht kurzfristig - abgesagt wurde. Auch hier hilft uns Friedrich Haller weiter; denn in seinem Bericht fährt er weiter: «Alle Kinderherzen hofften, so werde es nun alle Jahre kommen; allein die Guten hatten die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Es hiess bald, der Tag habe gar viel gekostet, die Stadt vermöge das nicht; und doch war der Jugend, was sie zu essen und zu trinken bekam, sehr vorsorglich - wie recht - zugemessen worden. Es dauerte bis ins Jahr 1825, ehe das zweite Kinderjugendfest daselbst gefeiert ward, während Aarau, Brugg, Lenzburg kein Jahr ohne solche Feier vorübergehen liessen.» So wurde das von Christian Heinrich Zeller ins Leben gerufene «jährliche Schulfest» ein Opfer der Zofinger Sparsamkeit...
Quelle: Zofinger Tagblatt (Ausgabe vom 02. Juli 2003)